Wo Sammeln auf das Metaversum trifft
Beyer replica Uhren & Schmuck in Zürich ist mit 262 Jahren der älteste Juwelier der Welt. Das hindert den Betrieb jedoch nicht daran, auch auf andere Weise Jugendlichkeit auszudrücken. Im April 2022 stellte Beyer die Time Warp Collection vor, eine Serie von 30 virtuellen NFT-Uhren, die von vier sehr unterschiedlichen Designern entworfen wurden. Damit ist Beyer der erste Juwelier, der NFT-Uhren anbietet. Normalerweise werden NFT-Objekte mit Kryptowährungen gekauft und verkauft. Da Beyer diese Kollektion jedem Interessierten anbieten wollte, nicht nur den Supertechnikern, war es möglich, die Uhren entweder mit Ethereum oder einer Kreditkarte zu kaufen. Die ersten 100 Uhren wurden in einem ersten Drop, dem sogenannten „Genesis Drop“, für 450 Dollar „geprägt“ (oder auf den Markt gebracht). Der Käufer erhielt eine „Mystery Watchbox“, die eines von 30 Modellen enthielt. Der Käufer wusste im Voraus nicht, welches es sein würde. Trotzdem oder gerade wegen des Überraschungsmoments waren die ersten 100 Uhren innerhalb weniger Minuten ausverkauft. Der zweite Drop erfolgte am 29. Juni mit 382 NFTs zum Preis von 950 Dollar.
Einer der vier Macher der Beyer Krypto-Uhren (hier sind auch Fotos der Objekte der anderen drei zu sehen) ist der in Deutschland geborene und in der Schweiz lebende Designer Simon Husslein, der Uhren für Nomos, Braun und Ventura sowie für seine eigene Marke Bolido entworfen hat. Wir sprachen mit ihm über das Projekt, seine Kreationen und die Rolle, die NFT-Sammlerstücke in Zukunft spielen könnten.
Simon, auch in der wilden Welt der Uhren wird NFT zu einem richtig heißen Thema. Du bist einer von vier Machern, die für den Juwelier Beyer eine Kollektion von NFT-Uhren entworfen haben. Wie bist du dabei vorgegangen?
Die erste Idee, die mir kam, war, eine Uhr zu machen, die jeder kennt, die man aber unmöglich besitzen kann. So kam ich auf die Uhr aus dem Film Pulp Fiction.
Bruce Willis bekam sie als Kind von einem Soldaten, einem Kameraden seines gefallenen Vaters, der sie jahrelang in seinem Körper versteckt hielt. Es ist eine Kultszene.
Dieser Film hat Millionen von Fans, aber es gibt nur ein echtes Requisit aus dem Film. Daher fand ich die Idee interessant, diese Uhr als NFT zu generieren. Ich entwickelte eine digitale Version, die wie die im Film aussieht und änderte nur die Krone. Sie ist versenkt. Später entschieden wir uns jedoch, diese Uhr nicht zu prägen, sondern sie in die Sammlung aufzunehmen. Wir waren der Meinung, dass die Szene den Krieg in gewissem Maße verherrlichte.
Eine andere Ihrer NFT-Uhren heißt „Continuum“ und besteht aus einem einzigen, durchgehenden Faden, der Gehäuse und Armband sowie Zifferblatt und Zeiger zusammensetzt und sich wie ein Spinnennetz kontinuierlich dreht. Könnte jemand im wirklichen Leben eine Uhr wie diese bauen?
Ja, im Prinzip. Man könnte es 3D-drucken und hätte dann ein Objekt wie ein Spinnennetz. Aber diese Uhr hat kein Uhrwerk! Es gibt NFT-Uhren, die man im echten Leben bauen kann und andere, bei denen das nicht möglich ist. Das ist das Spannende an diesem Projekt. Man sieht den Übergangsprozess vom Physischen zum Digitalen. Ich habe mich gefragt, was man als Uhr nicht herstellen kann. Eine dreidimensionale Uhr wie einen Kokon zu bauen, aus einem einzigen, durchgehenden Faden. Das ist eigentlich nicht möglich. Und jetzt haben wir diese Uhr. Der konzeptionelle Ansatz fasziniert mich.
Mit welchem Programm hast du die Uhr entworfen?
Ich habe das Continuum mit einer VR-Brille direkt im virtuellen Raum skizziert. Der Vorgang ist wie bei der Verwendung von Maus und Tastatur, aber direkter, da man mit dem Controller in der Brille um das Objekt herumgehen kann. Man kann es sich wie die Arbeit an einer großen Skulptur aus Holz oder Stein vorstellen. Die von mir verwendete Software heißt Gravity Sketch und wird vor allem von Automobil- und Produktdesignern verwendet.
Die NFT-Uhren sind keine 2D-Bilder, sondern 3D-Objekte, richtig?
Ja, die Uhren sind alle als 3D-Objekte entworfen und gebaut. Allerdings ist die aktuelle Technologie, um NFTs an die Öffentlichkeit zu bringen, noch etwas eingeschränkt. Beispielsweise akzeptieren die Wallets, in denen man seine NFTs aufbewahrt, keine 3D-Dateien, sondern nur Bilder und Filme. Deshalb haben wir im Fall von Beyer die Uhren als rotierende Animationen gezeigt. Man sieht einen Film des Objekts – ein Rendering –, das sich um 360 Grad um die eigene Achse dreht. So wird die Uhr visuell klar beschrieben.
Hast du die anderen Designer kennengelernt, die am Time Warp-Projekt gearbeitet haben?
Ja, aber komischerweise erst am Ende des Projekts. Erst nach einer Weile habe ich das große historische Potenzial dieses Projekts verstanden. Für Beyer zu arbeiten ist eine Pionierarbeit, die dies in der Uhrenwelt austestet. Es wird spannend zu sehen, wie sich digitale Uhren (nicht zu verwechseln mit herkömmlichen Digitaluhren!) im Laufe der Zeit entwickeln. Wenn man sich die Geschichte der gebauten Uhren ansieht, waren die Ursprünge radikal anders als das, was wir heute sehen. Wenn mehr Leute daran arbeiten, wird dies eine andere Welt mit eigenen Technologien, neuen Archetypen und Kultobjekten schaffen.
Im April hat Beyer mit einem ersten Drop, dem „Genesis Drop“, begonnen, Ihre NFT-Uhren zu verkaufen. Die erste Phase war in wenigen Minuten ausverkauft. Der zweite Drop folgte im Juni. Konnten Sie Ihre eigenen Kreationen in irgendeiner Form erhalten?
Ich habe von jeder der Uhren, die ich für Beyer für den Genesis Drop entworfen habe, ein NFT erhalten. Ich habe sie meinem Wallet auf einer Plattform namens Meta-Mask (metamask.io) hinzugefügt. Als Creator könnte ich noch unzählige weitere NFT-Objekte machen. Aber die Uhren aus der Beyer-Kollektion sind etwas Besonderes, denn sie sind Teil der offiziellen Kollektion.
NFT ist immer noch ein Ding für junge, technikaffine Leute. Wie erklärt man einem Oldschooler, was daran so spannend ist?
NFTs sind Teil eines größeren Wandels, bei dem ein Teil unserer Identität aus dem physischen in den digitalen Raum wandert. So wie wir heute vielleicht eine Person auf der Straße sehen, die coole Sneakers trägt, eine andere eine besondere Uhr und die dritte einen Pelzmantel. Das sind Dinge, die diese Menschen voneinander unterscheiden und etwas über ihre Persönlichkeit aussagen. Solche Aussagen über unsere Identität werden wir im Digitalen immer häufiger treffen. Es gibt bereits erste Beispiele: Wenn ich den Instagram-Account einer Person besuche, sehe ich, was ihr wichtig ist. Ob sie sich für Fahrräder interessiert oder gerne in der Toskana Urlaub macht. Die NFT-Welt wird diese Art der Kommunikation umfassender und detaillierter machen. Der Besitz von NFTs ist ein Statement. Für jemanden, der sich nicht in der digitalen Welt aufhält, scheint das nicht viel Sinn zu machen. Aber die Netzwerkgeneration baut bereits eine digitale Identität auf. Sie spielen VR-Chat mit personalisierten Avataren oder stellen digitale Assets in soziale Medien. Diese Welt wird sich von unten verändern. Immer mehr Menschen werden mitmachen und NFTs kaufen – nicht nur die jungen Leute.
Du willst damit sagen, dass du deine coolen Sneakers nicht auf der Straße anziehst, sondern sie auf deinem Avatar im Metaversum zeigst?
Die Möglichkeiten, digitale Assets zu integrieren, sind nahezu unbegrenzt. Egal, ob du ein Objekt zu einem virtuellen Konzert mitnimmst oder es in dein virtuelles Zuhause stellst, die Begehrlichkeit von etwas, das eine großartige Kreation oder eine begehrenswerte Marke darstellt, wird natürlich auch in der digitalen Welt funktionieren. Es geht nicht darum, ob eine virtuelle Rolex eine physische ersetzen kann. Wenn ich als einer von nur 100 Menschen – oder vielleicht sogar als einziger auf der Welt – ein digitales Gucci-Asset besitze, ist das etwas Besonderes. Ich bin sicher, dass es eine sehr große Verschiebung in die digitale Welt geben wird. Das Metaversum befindet sich im Moment noch in einem sehr frühen Stadium. Nur sehr wenige Menschen verbringen Zeit in der dreidimensionalen digitalen Welt, aber es wird nicht mehr lange dauern, bis wir mit einem Headset arbeiten, lernen, Freunde treffen und das wird völlig normal sein. Diese Erfahrungen werden uns vollständig beeinflussen und Ideen inspirieren, die wir uns heute noch nicht einmal vorstellen können.